Der Bundesgerichtshof (BGH) hat ein Berufungsurteil im Zusammenhang mit möglichen Fehlern von Rettungsleitstellen bei einem dramatischen Notfalleinsatz aufgehoben. Die Karlsruher Richter betonten, dass das Berufungsgericht ein medizinisches Gutachten hätte einholen müssen, um die Notwendigkeit eines sofortigen Notarzteinsatzes zu klären. Der Fall wird daher zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht Schleswig zurückverwiesen (Az. III ZR 417/23).
Hintergrund: Tragischer Verlauf eines Rettungseinsatzes
Geklagt hatten die Eltern eines im Februar 2018 verstorbenen Kleinkindes. Das Kind war im Januar 2017 kurz vor der Geburt in eine akute Notlage geraten, nachdem die Mutter plötzlich starke Schmerzen verspürte. Auf Anraten einer Hebamme verständigte der Vater den Rettungsdienst. Die Notrufkette verlief jedoch über mehrere Leitstellen, wobei wesentliche Informationen – insbesondere der Hinweis auf die Dringlichkeit – offenbar nicht korrekt weitergegeben wurden.
Der Rettungswagen traf mit Verzögerung ein, ein Notarzt wurde erst später hinzugezogen. Bei der Entbindung wurde eine vorzeitige Plazentaablösung festgestellt. Das Kind erlitt schwere Hirnschäden durch Sauerstoffmangel und verstarb etwa ein Jahr später.
Vorinstanzen verneinten Amtshaftung
Das Landgericht Lübeck sowie das Oberlandesgericht Schleswig hatten die Klage auf Schmerzensgeld und Schadenersatz gegen mehrere Landkreise und kreisfreie Städte abgewiesen. Die Gerichte sahen keine Pflichtverletzung seitens der Rettungsleitstellen. Nach ihrer Ansicht ergab sich aus dem übermittelten Meldebild keine Indikation für einen sofortigen Notarzteinsatz.
BGH fordert umfassendere Prüfung
Der für Amtshaftung zuständige III. Zivilsenat des BGH rügte die bisherige Beurteilung als unzureichend. Entscheidend sei, ob ein Notarzteinsatz nach den konkreten Umständen – einschließlich der Schilderung durch den Vater und der Einschätzung der Hebamme – geboten gewesen wäre. Diese Frage hätte durch ein medizinisches Sachverständigengutachten geklärt werden müssen.
Zudem sei zu prüfen, ob der Disponent der Leitstelle in Schwerin auf Basis der erhaltenen Informationen die Notwendigkeit eines Notarztes hätte erkennen müssen. Auch diese Beurteilung müsse nun im wiedereröffneten Verfahren erfolgen.
Beweislastumkehr bei groben Fehlern möglich
Der BGH weist darauf hin, dass bei grober Pflichtverletzung durch Rettungsleitstellen eine sogenannte Beweislastumkehr greifen kann: In solchen Fällen müsste nicht der Geschädigte den Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden beweisen, sondern die zuständige Körperschaft müsste die Nichtursächlichkeit der Fehler nachweisen.
Bedeutung des Urteils
Das Urteil des BGH betont die besondere Verantwortung von Rettungsleitstellen bei der Einschätzung medizinischer Notlagen. Es unterstreicht zudem die Bedeutung einer lückenlosen und sorgfältigen Weitergabe von Informationen bei der Notrufbearbeitung. Die Entscheidung dürfte bundesweit Auswirkungen auf ähnliche Verfahren zur Amtshaftung im Rettungsdienst haben.
(PM BGH,red)